Schloss im Süden
ISBN 13-978-0-692-22163-1
Der amerikanische Süden. Eine Gegend, in der Fremde nicht erwünscht sind und in der man sich besser nicht verfährt. Diese Geschichte nimmt sich der Menschen an, die dort seit Generationen – vom Rest der Welt vergessen – leben und davon träumen, ihrer Bestimmung zu entfliehen. Wie in vielen Träumen geht es um Geld, und obwohl diese Menschen nicht viel davon haben, nimmt man ihnen auch noch das Wenige. Nur entwickelt sich das für die, die denken, alles perfekt zu kontrollieren, nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt hatten. Es gibt eine Verbindung nach Europa, um die von diesen Menschen erwirtschafteten Gelder sicher und für den amerikanischen Staat nicht erreichbar, anzulegen. Am Ende werden alle verlieren, bis auf eine Person, der man es am wenigsten zugetraut hätte.
Schloss im Süden
Eine Geschichte aus Amerika
von
Olaf Maly
2012©Olaf Maly
Kapitel 1 (Auszug)
Für Jonathan Hagman begann dieser Dienstag wie jeder andere Tag der Woche. Bleischwer lag die Luft in jedem Zimmer, in jedem Winkel des halb verfallenen Hauses, in jener Eintönigkeit seines Daseins, die er zu ertragen hatte. Der Sommer in Greenville, Georgia, war dieses Jahr besonders zermürbend, heiß, stickig und unerträglich. Der rote Sand, der unentwegt die Luft erfüllte – Tag und Nacht, immer und immer – gab seiner totalen, sinnlosen, Existenz den Rest. Unerträglich und erdrückend waren sie eigentlich immer, diese Sommer hier, und was irgendjemanden dazu gebracht hat, sich hier anzusiedeln, würde für Jonathan Hagman immer ein Geheimnis bleiben. Wie vieles für ihn ein Geheimnis bleiben würde, in seinem trostlosen Leben.
Vor ein paar Tagen hatte auch noch seine Klimaanlage den Geist aufgegeben, die das Leben zumindest ein wenig erträglich gemacht hatte. Das war früher oder später zu erwarten gewesen. Oder aber auch wieder nicht, wie er sich immer wieder einredete. Hatte er sich doch nie darum gekümmert und ganz einfach gehofft, dass so alles seiner Wege gehen würde, so ganz ohne sein Zutun. Es ging nicht seiner Wege. Jedenfalls nicht im Sinne der Funktionalität. Auch nicht nur für mechanische Dinge von Bedeutung, sondern ebenso für alle anderen Dinge, seien sie nun von Bedeutung oder nicht. Sein ganzes Leben war bisher nur davon gezeichnet, eben kein Leben zu sein, sondern mehr ein Hineinversetzen in einen Zustand, den er nicht verstand, an dem er keine Schuld hatte und den er dennoch ertragen musste.
Und natürlich war keiner an dieser Misere schuld, außer all den Umständen, die er so gar nicht beeinflussen konnte und die ihn immer wieder aus der Bahn schmissen. Und Schuld war schon beileibe nicht er selbst, wo er doch immer wieder versucht hatte, auf die Beine zu kommen und etwas aus sich zu machen. Auch wenn alles mal gut lief – was es natürlich nie tat, auch nicht gemessen am Standard seines Lebens. Aber allein der Gedanke an eine bessere Zeit ließ alles besser erscheinen. Und dann das. Alles kam zusammen. Alles brach zusammen und war auf ein Ende ausgerichtet, das zwar noch nicht da war, aber seine Anzeichen schon vorausschickte.
Es half auch nicht, den in seinen letzten Zügen liegenden, manchmal nur noch müde sich dahin drehenden Ventilator einzustecken, der auf einer Kommode direkt vor seinem Bett stand und den ihm einst seine Mutter überlassen hatte. Schlafen war so gut wie unmöglich in diesem Klima, in dieser Hitze, in dieser Schwüle, in diesem Gestank von Verwesung und Verfall. Still vor sich hin liegen kostete Schweißausbrüche. Dann lief das Wasser in kleinen Rinnsalen über sein Gesicht, die Arme, die Beine und alle anderen Extremitäten, sammelte sich in anfangs kleinen und dann immer größer werdenden Pfützen auf dem Kopfkissen, auf dem Bett, auf dem Laken, und tropfte von dort auf den verklebten Boden. Die nassen Stellen am Bettbezug fühlten sich so kalt, unangenehm nass und verfault an, wie ein Pfirsich, der jeden Moment zu explodieren drohte um seine süßen, klebrigen Säfte überall hin zu verteilen.
Trocknen lassen gab es nicht, da nichts und niemand in dieser Feuchtigkeit jemals trocken werden würde. Die Feuchtigkeit war ein Teil des Lebens, war die Buße, die man auferlegt bekommen hatte für die Sünden, die man beging und von denen man noch nicht einmal wusste, dass man sie beging, die aber schon auf einen warteten, damit die Sühne auch zu ihrem Recht kam.
Reverent Gerard, wie er sich nannte, und von dem keiner wusste, woher er diesen Namen hatte, machte einen jeden Sonntagmorgen darauf aufmerksam, wenn er in seiner nicht enden wollenden Tirade über die Schlechtigkeit der Menschen herzog. Er gab einem das Gefühl, nichts auf dieser Welt zu sein, als ein Haufen Mist, ein Nichts, eine Schlechtigkeit, ein verlogenes Bündel miese Schlechtigkeit, wie er es nannte, und noch vieles mehr.
„Und alle sind wir Sünder vor dem Herren“, schrie er in die Halle, die immer bis zum Rand gefüllt war, in der unablässig gesungen wurde und das Saxofon den Ton angab. Nicht, dass es keine Orgel gab, aber es gab niemanden, der sie spielen konnte. Dafür aber jemanden, der halbwegs das Saxofon beherrschte. Also war das Saxofon zur Stimme des Herrn geworden.
„Amen“, rief die Masse im Vollen zurück.
„Und alle werden wir in die Hölle kommen“, schrie Reverend Gerard aus seiner heiseren Kehle wieder und immer wieder.
„Amen“, kam es von der devoten Gemeinde wieder vollhals zurück, einem eingespieltem Ritual folgend.
So ging das für Stunden, bis alle, der Priester und die Gemeinde, einfach nicht mehr konnten. Und dem Saxofonspieler die Luft ausging.