Vatertagsblues
Eine Kommissar Wengler Geschichte
ISBN 13-978-0-692-34649-5
Eigentlich wollte Kommissar Wengler nur mit seinen Freunden an der Isar in Ruhe und Gemütlichkeit den Vatertag feiern. Wie sie das jedes Jahr machen, am Vatertag. Auch wenn er kein Vater ist, ist dieser Feiertag doch ein heiliger Tag für ihn, den es gilt, gebührend zu würdigen. Man war eigentlich schon am Platz des Geschehens angekommen, als Armin Staller, sein Assistent, ihn aufspürte und ihm seine Pläne zunichtemachte: Es gab einen Toten. In Harlaching, wo es eigentlich keine Toten gibt, außer jemand stirbt eines normalen Todes. Dann natürlich schon. In diesem Fall jedoch war das Opfer erschossen worden. Also musste man sich darum kümmern, so ungelegen es auch kam. Aber, wie Kommissar Wengler zu sagen pflegt, Mörder suchen sich die Tatzeit nicht danach aus, ob er etwas zu tun hat oder nicht.
Am Tatort angekommen, betrachtet man ihn sehr sonderbar, was er sich anfangs nicht erklären kann. Ungeachtet dessen, lässt Kommissar Wengler sich jedoch nicht davon abhalten, in diese so feine Gesellschaft einzudringen. Von Geld, Drogen und wilden Partys ist die Rede, und je mehr er erfährt, desto weniger wundert er sich über das, was passiert ist. Die Lösung des Falles scheint schwierig, da alle Beteiligten kein Interesse daran zu haben scheinen, Teil des Schauspiels zu sein. Nur nutzt das der feinen Gesellschaft nichts. Kommissar Wengler ist ihnen, wenn es auch oft nicht danach aussieht, immer einen Schritt voraus. Doch am Ende ist sogar er ein wenig überrascht darüber, wer die Tat begangen hat.
Vatertagsblues
Eine Kommissar Wengler Geschichte
von
Olaf Maly
2015©Olaf Maly
Kapitel 1 (Auszug)
Es war Vatertag. Nicht, dass Herbert Wengler Vater wäre, nein. Jedenfalls nicht, dass er davon wüsste. Keine seiner Lieben hat ihn je nach Unterhalt gefragt oder eine Andeutung in diese Richtung gemacht. Also ging er davon aus, dass sich seine Gene nicht ohne sein Wissen verbreitet hatten. Allein der Gedanke, dass ein zweiter Herbert Wengler diese Erde mit seiner Anwesenheit beehren würde, verursachte ihm leichte Magenschmerzen. Einer war genug. Das hatten ihm auch viele seiner Lieben mit auf den Weg gegeben, als es wieder einmal vorbei gewesen war.
Aber dennoch war Vatertag. Ob er nun einer dieser Gattung war, die an diesem Tag ihre Leistung in Bezug auf die Menschheit zu zelebrieren gedachte, oder nicht, war absolut nebensächlich. Der Tag musste gefeiert werden. Wie vieles im Leben, hatte auch dieser Tag bezüglich der Anlässe, die man feierte, nur eine sinnbildliche Bedeutung und mit der Ehrung der Väter ungefähr so viel zu tun, wie ein Pferd mit der eierlegenden Wollmilchsau. Nämlich nichts.
Für Leser, die mit der bayerischen Terminologie dieser Gattung nicht vertraut sind – wobei ich nicht das Pferd meine – hier die offizielle Erklärung: Eine eierlegende Wollmilchsau ist ein Tier, das die Eigenschaften von Huhn (Eierlegen), Schaf (Wolle), Kuh (Milch) und Schwein (Fleisch) in sich vereint. Wie es nun aussieht, dieses Wesen der bayerischen Hemisphäre und Mythologie, darf sich jeder selbst ausdenken. Dem sind keine Grenzen gesetzt.
Den Vatertag feierlich zu begehen, bedeutete aber auch, dass alles, was man machte, am Ende sowieso gut war. Es lag eben in der Natur der Sache, dass solche Tage gut waren. Und es gut war, Vater zu sein. Auch wenn es manchmal nicht gut war. Also im Prinzip war der Vatertag etwas Gutes, ob man nun wollte oder nicht.
Herbert Wengler verbrachte diesen Tag, wie tausende andere seiner männlichen Artgenossen in München, an der Isar. Seine Freunde, der Hintermeier Egon von der Glockenbachstraße und der Schäfer Franz aus Giesing, leisteten ihm Gesellschaft. Man zog, wie jedes Jahr, den Handwagen, den der Egon schon vor Jahren mit einem weiß-blauen Rautenmuster bemalt hatte, wie in einer heiligen Prozession hinter sich her. Auf den Wagen stellten sie einen Kasten Bier und eine Kühltasche, gefüllt mit Bratwürsten und Brezeln. Auch eine Flasche klarer Schnaps, Obstler genannt, war in der Tasche, die gerade so groß war, dass die Flasche der Länge nach hinein passte. Das war kein Zufall, wie man solche Dinge auch nie einem Zufall überlassen sollte.
Es war geplant. Genau geplant. Es hatte damals Tage gedauert, die richtige Tasche zu finden. Nur glückliche Umstände hatten dabei helfen können. Finden ist vielleicht nicht das richtige Wort. Man wurde gefunden. Und das ging so: Der Schäfer Franz war damals, als er noch angestellt war, bei einem Betrieb in Giesing beschäftigt gewesen. Bei einer Firma, die Fotoapparate und Filme herstellte, auch dann noch, als die schon lange keiner mehr kaufte oder brauchte. Man hatte dort das digitale Zeitalter regelrecht verschlafen. Als man den angeblichen 'Unsinn', wie man die digitale Fotografie in der Chefetage genannt hatte, nicht mehr wegleugnen konnte, war es zu spät. Nicht einmal die Chinesen wollten die alten Maschinen noch kaufen, für die es offensichtlich keinen Bedarf mehr gab. Nicht in China und auch nicht auf dem Rest der Welt. Also wurde die Firma, mitsamt dem Personal, entsorgt. Jeder konnte sich noch ein Erinnerungsstück mitnehmen, sei es eine unbrauchbare Kamera, wovon es derer sehr viele gab, oder eben Werbegeschenke, die man nicht mehr verschenken konnte. Werbegeschenke sind nur gut, wenn man für etwas wirbt. Das hatten sogar die Oberen in diesem Fall eingesehen. Der Franz also hatte sich dann diese Kühltasche ausgesucht, die in guten Zeiten für die mittlere Managementetage bestimmt, also nicht gerade billig gewesen war. Das war dem Franz ganz recht, dachte er doch in jeder Hinsicht praktisch. Dass die Flasche Schnaps dort hinein passte, ergab sich dadurch, dass man in den Tagen der Entsorgung mehrere dieser Flaschen noch gemeinsam mit seinen Kollegen leeren wollte. Durch Ausprobieren kam man dann mit der richtigen Tasche in Kontakt, die dadurch dann auch reißenden Absatz fand. Der Schäfer Franz war nicht der einzige, der den nicht zu unterschätzenden Wert dieser Tasche, und deren Maße, zu würdigen wusste.
Eine weitere Tradition war, dass alle drei an diesem Tag ihre Tracht anzogen. Wenn es schon ein bisschen warm war, wie an diesem Tag, trug man die kurze, schwarze Lederhose mit den Stickereien am Bund, die schwarzen Hosenträger und ein weißes Hemd. Manchmal auch noch eine Weste. Dazu eine Jacke aus Filz, demselben widerstandsfähigen Material, aus dem man in Bayern auch Hüte und Fußabtreter herstellte. Das nur zur Vorsicht, da es um diese Jahreszeit auch bei schönem Wetter immer kalt werden konnte. Das Wetter in München war um diese Zeit unberechenbar. Um die Waden hatte man die Wickel, die eher zur Schau waren als irgendeinen Nutzen hatten. Und dazu die schweren, doppelt besohlten Schuhe, die nicht kaputt zu kriegen waren und man auch noch vererben konnte.
„Muss des jetzt immer dein Augustiner sein, Herbert? Nächstes Jahr fahren wir Paulaner die Isar runter“, meinte der Hintermeier Egon, als man den Wagen gemächlich am schmalen Fußweg an der Isar, zwischen Fluss und Kanal, in Richtung Flaucher entlang zog.
Der Flaucher ist ein Park im Süden von München, an der Isar, den man bereits Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt hatte, um den Münchenern ein Erholungsgebiet zu schaffen. Es war unfruchtbares Gebiet, mehr Moor und Sumpf, das oft auch überschwemmt war, also nicht unbedingt brauchbar im herkömmlichen Sinne. Seinen Namen hatte er von der Gaststätte 'Der Flaucher', die ein gewisser Johann Flaucher einmal gegründet hatte, und die bis heute noch dem Wanderer Einlass bot. Wo man, wie man hier sagte, noch a g'scheits Bier und a Brotzeit bekam.
„Nein“, sagte Herbert Wengler, „solange ich das Bier kauf, wird es Augustiner sein. Und ihr könnt des ganze Jahr saufen, was ihr wollt, aber an diesem heiligen Tag gibt es was Gutes.“
„Was ist denn an diesem Tag bitte heilig, Herbert?“, fragte der Franz.
„Jeder Feiertag ist heilig, Franz, deswegen heißt es Feiertag. Sonst würde das nur Gewohnheitstag oder Sauftag oder so heißen. Das wäre dann allerdings nichts Heiliges. Außerdem scheint an dem Tag auch immer die Sonne. Der liebe Gott und die bayerischen Heiligen, die ihn da oben beraten, haben also ein Einsehen. Da muss des doch heilig sein.“
Bei diesen Worten lächelte Herbert Wengler ein wenig in sich hinein.
Das Wetter war wirklich außergewöhnlich schön. Es hatte den ganzen Mai fast nur geregnet, aber eine Woche vor dem Vatertag klärte es plötzlich auf. Als würde der Wettergott sagen, 'Jetzt ist es genug. Wir können denen nicht auch noch diesen Tag versauen'.
„Hast jetzt schon zu viel Bier, Herbert. Red'st echt an Schmarren heut“, meinte der Egon.
„Wie weit willst denn noch laufen, Herbert?“, fragte der Franz etwas ungeduldig. Er war kein großer Wanderer. Schon seine Figur, die um die Hüften herum sehr ausgeprägt war, ließ das nicht zu. Seit er frühpensioniert war, kümmerte er sich hauptsächlich um Fußball. Am Fernseher oder manchmal auch im Stadium. Er war nie selbst am Platz, war immer nur am Rand, als Jubler oder Verzweifelter. Je nachdem, wer gerade gewann.
Früher, als Kind, war er beim FC Wacker gewesen, einem Traditionsverein im Münchener Süden. Bei den künftigen Liga-Aspiranten nicht so begehrt wie der FC Bayern oder die 1860er, aber dennoch Tradition. Elf Mannschaften hatten die damals, wobei die erste Mannschaft die beste war, in der natürlich alle spielen wollten. Auch der Franz. Es gab allerdings nur elf Plätze. Anfangen musste man in der elften Mannschaft und sich dann nach und nach hochdienen. Er hatte es nie über die achte Mannschaft hinaus geschafft und dann sein Interesse mehr aufs Kartenspielen verlegt, wo er, muss man gestehen, von Anfang an mehr Talent zeigte.
„Gleich sind wir da. Nur noch ein paar Meter. Ich hab doch meinen Nachbarn g'fragt, wo der hingeht, weil der doch weg ist, heut früh, mit seinem Grill. Dann, hab ich mir gedacht, brauchen wir unser verdammtes Ding nicht mit runter zu schleppen. Der hat nämlich einen neuen, transportablen Gasgrill, den der ausprobieren will, und da können wir unsre Würscht draufhauen, hat er g'meint.“
Also zog man weiterhin geduldig den Wagen in Richtung Flaucher. Sie waren nicht allein. Es sah aus, als hätte die halbe Münchener Männerwelt dieselbe Idee gehabt. Es gab fast ein Gedränge, dort auf dem Weg, der gerade einmal 4 Meter breit war. Auf der einen Seite floss die Isar, auf der anderen der Isarkanal. Die Trennböschung war der Weg, den man nehmen musste, um ans heiß geliebte Ziel zu gelangen. Endlich angekommen, suchte man sich einen Platz, der noch nicht besetzt war. Es sah so aus, als hätten ein paar ganz Schlaue am Vorabend noch kleine Schilder aufgestellt, auf denen 'Besetzt' stand. Einschließlich der Namen der Gruppe. Wie 'Giesinger Väter e.V.', oder 'Sendlinger Vaterschaftsverein'.
Franz Schäfer sah sich kurz um, nahm sich so ein Schild und warf es so weit er konnte in die Büsche.
„Wenn jemand fragt, wir haben kein Schild nicht gesehen, klar?“
„Sowieso“, meinte der Egon.
„Was für ein Schild?“, kam es vom Herbert Wengler.
Obwohl er Kommissar war, musste er manchmal eben mit seinen Freunden auf derselben Welle sein. Sozusagen beide Augen fest zudrücken. Als Gesetzeshüter.
„Jetzt such deinen Nachbarn, Herbert, damit wir hier nicht verhungern.“
„Der ist da drüben, seh ihn schon. Bin gleich wieder da.“
Damit nahm er die Kühltasche und machte sich auf den Weg.